Leseprobe: Rednerin oder keine Rednerin – das ist hier die Frage

Rednerin…

Frau N.N. ist verstorben. Ihre Nachbarn rufen an und fragen, ob ich die Trauerfeier übernehmen könnte.

„Ja.“

„Aber da gibt es ein Problem, Frau N.N. ist Kirchenmitglied.“

„Oh, das ist für mich kein Problem. Aber ich sehe ein anderes: Sie müssten für mich Honorar zahlen, während der Pastor keine Extrakosten bedeuten würde.“

„Das ist für uns kein Problem.“


…oder Pastorin…

Ich werde angefragt, eine Trauerfeier zu halten für eine Frau, die Mitglied der evangelischen Kirche ist. (Ich hatte Anfang des Jahres den Sohn beerdigt und mich auf diese Weise qualifiziert.)

Die Töchter möchten zwei Kirchenlieder singen und so haben wir einen Organisten.

Meine Trauerfeier bekommt durch meine Worte eine theologische/ christologische Kurve.

Daraufhin fragt mich der Organist, ob ich eine Prädikantenausbildung habe. „Nee, ich war mal Pastorin.“

Mein Mann meint, die richtige Antwort hätte lauten müssen:

„Nein, aber ich habe welche ausgebildet.“

Eine alte Frau fragt mich, wo meine Gemeinde sei…


…immer wieder neu zu bedenken

Ich bin nach 7 Jahren wieder in einer Familie.

Sie wollten mich als Rednerin, obwohl der Verstorbene Kirchenmitglied war. „Die Pastoren reden immer von grüner Wiese und Schafen und Hirten und das bei jedem.“ (Ich muss innerlich sehr lachen, weil mir klar ist, dass hier die Rede von Psalm 23 ist).

Unser Vater war ganz begeistert von dem, was sie bei Hannes gesagt haben.

Die Bestatterin, die Seniorchefin, kommt während des Gesprächs vorbei, weil es noch Klärungsbedarf gibt. Sie kann nicht verstehen, dass die Familie eine Rednerin möchte, obwohl sie doch den Pastor „kostenlos“ haben könnte.

Darauf meinte der Sohn, wenn sie hätten sparen wollen, hätten sie die Kirche auch selbst bauen können.

Auch mit dem Text für die Zeitungsanzeige und für die Schleifen gibt es noch Schwierigkeiten: Die Familienmitglieder haben ihre speziellen Bezeichnungen, die auf die Schleifen gedruckt werden sollen (nicht die Vornamen aus der Geburtsurkunde); in der Anzeige möchten Sie nicht „mein Mann, unser Vater usw.“ Das kann die Bestatterin in keiner Weise nachvollziehen.

Es war schon köstlich!


Du oder Sie – das ist hier die Frage

Bei einer Trauerfeier erzählt mir die Bestatterin, dass sie am Wochenende noch einen weiteren Sterbefall hatte: Einen Mann, 51 Jahre alt, überraschend verstorben, nicht Kirchenmitglied. Sie habe eine Rednerin angeboten, aber das wurde abgelehnt. Jetzt möchten Familie und Freunde wohl nur mit Musik Abschied nehmen.

Zwei Stunden später, ich bin wieder zu Hause, ruft ein Freund des Verstorbenen an und fragt, ob ich bei der Trauerfeier reden könne. “Ja, wann?“ „Freitag, 15 Uhr“.

Mit ein paar Freunden wolle man sich am Abend treffen, ob ich dazu kommen könne. Ich kann.

Mir wird der Treffpunkt genannt. Ich bin sommerlich gekleidet, hatte nicht damit gerechnet, dass wir auf der Terrasse sitzen würden und allmählich wird mir kalt. Ich bitte um etwas Wärmendes und bekomme eine Decke gereicht.

Die Frau des Hauses duzt mich, wir sind auch alle in einem Alter, aber ich bin das nicht gewohnt. Ich denke mir, dann ist das Du wohl die offizielle Anrede.

Ein anderer Freund wird mir angekündigt, der sich bei mir melden wird, weil er auch einige Worte sagen möchte.

Am nächsten Abend geht dieser Anruf bei mir ein. „Finde ich prima, dass du das machst. Wir können beim Du bleiben?“ fragt Friedrich.

Ich bestätige das und beschließe dann, als Anrede für die Traueransprache das Du zu wählen.

So allmählich finde ich heraus, dass es sich bei den Mitgliedern der Gesprächsrunde um die alte WG-Clique des Verstorbenen handelt, die sich um die geschockte Lebensgefährtin kümmern und ihr z.B. mit der Zahlung meines Honorars finanziell unter die Arme greifen.

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